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Rudolf Steiner

Vor dem Tore der Theosophie

GA 95

DREIZEHNTER VORTRAG / Stuttgart, 3.September 1906

Gestern haben wir damit geschlossen, daß wir die drei Methoden der okkulten Entwickelung in ihren wesentlichen Zügen skizzierten: die orientalische, die christliche und die sogenannte rosenkreuzerische Schulung. Heute nun wollen wir damit beginnen, etwas näher auf die Einzelheiten einzugehen, die das Charakteristische jeder dieser drei Wege ausmachen.

Vorher jedoch möchte ich noch bemerken, daß in keiner okkulten Schule die Sache so aufzufassen ist, als ob das, was gesagt und gefordert wird, irgendwie als ein sittliches Gebot für die ganze Menschheit gelten könnte. Das ist durchaus nicht der Fall; nur für denjenigen, der sich wirklich einer solchen okkulten Entwickelung widmen will, gelten diese Forderungen. Man kann beispielsweise ein sehr guter Christ sein und das, was die christliche Religion für den Laien empfiehlt, ganz erfüllen, ohne eine christliche okkulte Schulung durchzumachen. Wenn zum Beispiel jemand sagt: Man kann doch auch ohne okkulte Schulung ein guter Mensch sein und zu einer Art höherem Leben kommen -, so ist dagegen nichts einzuwenden; das ist selbstverständlich.

Ich sagte Ihnen schon, daß innerhalb der orientalischen Schulung eine strenge Unterwerfung unter den Guru stattfindet. Ich will Ihnen nun die Art der Anweisung, die der Lehrer innerhalb einer orientalischen Schulung gibt, angeben. Man kann begreiflicherweise öffentlich keine Anweisungen geben, sondern nur den Weg charakterisieren. Diejenigen Dinge, die als Anweisungen von dem Lehrer gegeben werden, kann man in acht Gruppen einteilen:

1. Yama

2. Niyama

3. Asanam

4. Pranayama

5. Pratyahara

6. Dharana

7. Dhyanam

8. Samadhi

1. Yama schließt alles ein, was wir die Unterlassungen nennen, welche dem obliegen, der eine Joga-Schulung durchmachen will; und das wird näher ausgedrückt in den Geboten: «Nicht lügen - Nicht töten - Nicht stehlen - Nicht ausschweifen - Nicht begehren. »

Die Forderung «Nicht töten», ist eine sehr strenge und bezieht sich auf alle Wesen. Kein lebendes Wesen darf getötet oder auch nur beeinträchtigt werden, und je strenger dies befolgt wird, desto weiter führt es. Etwas anderes ist es, ob man dies auch in unserer Kultur durchführen kann. Jedes Töten, auch das einer Wanze, beeinträchtigt die okkulte Entwickelung. Ob es einer aber doch tun muß, das ist eine andere Frage.

«Nicht lügen», ist eine Forderung, die Ihnen schon verständlicher sein wird aus dem, was ich Ihnen über den Astralplan gesagt habe. Auf dem Astralplan ist lügen dasselbe wie töten, ist jede Lüge ein Mord; also fällt es eigentlich in dasselbe Kapitel wie töten.

«Nicht stehlen», auch das muß im strengsten Sinne durchgeführt werden. Der Europäer wird sagen: Wir stehlen nicht. - Aber der orientalische Jogi versteht die Sache nicht so einfach. In den Gebieten, wo zuerst diese Übungen ausgebreitet worden sind von den großen Lehrern der Menschheit, waren die Verhältnisse viel einfacher; da konnte man den Begriff des Stehlens leicht feststellen. Aber ein Joga-Lehrer wird Ihnen nicht zugeben, daß ein Europäer nicht stiehlt. Wenn ich mir zum Beispiel unberechtigterweise die Arbeitskraft eines anderen aneigne, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe, der wohl gesetzlich erlaubt ist, der aber eine Ausbeutung eines anderen bedeutet, so bezeichnet der Joga-Lehrer das als Stehlen. Bei uns liegen die Dinge in unseren sozialen Verhältnissen so kompliziert, daß viele gegen dies Verbot verstoßen, ohne das allergeringste Bewußtsein davon zu haben. Denken Sie, Sie haben ein Vermögen und Sie hinterlegen das in einer Bank. Sie tun nichts damit, beuten niemanden aus. Nun aber geht der Bankier hin, treibt Spekulationen und beutet so andere Menschen mit Ihrem Gelde aus. Auch da sind Sie im okkulten Sinne verantwortlich, es belastet Ihr Karma. Sie sehen daraus, daß dieses Gebot bei einer okkulten Entwickelung ein tiefes Studium erfordert.

Ebenso kompliziert stellen sich die Verhältnisse beim «Nicht-Ausschweifen ». Ein Rentner zum Beispiel, dessen Kapital ohne sein Wissen in Schnapsbrennereien angelegt ist, macht sich ebenso schuldig wie ein Fabrikant, der Spirituosen verfertigt. Das Nichtwissen ändert nichts am Karma. Es gibt nur eines, was eine gerade Richtung geben kann bei diesen Unterlassungen, das ist: nach Bedürfnislosigkeit streben. Man kann noch so viel besitzen, in demselben Maße, wie man nach Bedürfnislosigkeit strebt, kann man nie jemand anders schädigen.

Besonders schwer ist das «Nichts-Begehren» durchzuführen. Es bedeutet, nach voller Bedürfnislosigkeit streben, mit keiner Begierde an etwas in der Welt heranzutreten, sondern nur das zu tun, was die Außenwelt von uns fordert. Ja, ich muß selbst mein Wohlgefühl unterdrücken, wenn ich jemand eine Wohltat erweise; nicht dieses Gefühl, sondern der Anblick des Leidenden muß mich bewegen, zu helfen. Auch sonst, wenn ich zum Beispiel selbst eine Aufwendung machen muß, darf ich nicht denken: Ich will, ich wünsche, ich begehre das, sondern ich muß mir sagen: Das brauchst du zur Unterhaltung deines Leibes oder für die Bedürfnisse deines Geistes, das braucht auch jeder andere; du begehrst es nicht, sondern du denkst nur nach, wie du am besten durch die Welt kommst. - Innerhalb der Joga-Lehre wird der Begriff Yama, wie gesagt, außerordentlich streng gefaßt und kann nicht ohne weiteres nach Europa verpflanzt werden.

2. Niyama. Das bedeutet etwa: die Einhaltung religiöser Gebräuche. In Indien, wo diese Regeln hauptsächlich angewendet werden, ist eine Frage gelöst, die der europäischen Kultur viele Schwierigkeiten bereitet. Man sagt leicht: Ich bin über die Dogmen hinaus, ich halte mich nur an die innere Wahrheit und gebe nichts auf äußerliche Formen. Je mehr er über religiöse Gebräuche hinauskommen kann, desto erhabener dünkt sich der Europäer. Der Hindu denkt entgegengesetzt und hält fest an den Ritualien seiner Religion; niemand darf daran rühren. Welche Meinung aber man sich darüber bildet, das steht in der Hindureligion jedem ganz frei. Es bestehen uralte heilige Riten, die etwas sehr Tiefes bedeuten. Ein Ungebildeter wird sich davon eine sehr elementare Vorstellung machen, ein Mensch mit größerer Bildung macht sich eine andere, bessere Vorstellung, aber keiner wird sagen, daß die Vorstellung des andern falsch sei. Der Weise befolgt denselben Brauch wie der weniger Gebildete. Dogmen gibt es nicht, aber Riten. Auf diese Weise können die tief-religiösen Gebräuche vom Weisen und vom Unweisen befolgt werden, beide können sich im Ritus vereinigen. So sind die Riten ein Bindemittel für die Bevölkerung; niemand wird in seiner Meinung beengt dadurch, daß er sich in ein strenges Ritual einfügt.

Die christliche Religion hat das entgegengesetzte Prinzip verfolgt; nicht Gebräuche, sondern Meinungen hat man den Leuten aufgenötigt, und die Folge ist, daß in der neueren Zeit die Formlosigkeit in unserem sozialen Zusammenleben Gesetz geworden ist. Da beginnt das vollständige Außer-acht-Lassen aller Gebräuche, die die Menschen verbinden würden; alle Formen, die sinnbildlich höhere Wahrheiten ausdrücken, werden allmählich abgeschafft. Das ist ein großer Schaden für die gesamte Entwickelung, hauptsächlich für die Entwickelung im orientalischen Sinne.

Viele glauben heute in der europäischen Bevölkerung, über Dogmen hinaus zu sein, aber gerade die Freidenker und Materialisten sind die ärgsten Dogmenfanatiker. Das materialistische Dogma ist noch viel drückender als jedes andere. Die Unfehlbarkeit des Papstes gilt für viele nicht mehr, wohl aber die Unfehlbarkeit des Universitätsprofessors. Auch der Liberalste ist, trotz der gegenteiligen Behauptungen, den Dogmen des Materialismus unterworfen. Welche Dogmen lasten zum Beispiel auf dem Juristen, Mediziner und so weiter. Jeder Universitätsprofessor lehrt sein Dogma. Oder auch: Wie schwer lastet auf einem das Dogma der Unfehlbarkeit der öffentlichen Meinung, der Tageszeitung! Der orientalische Joga-Lehrer fordert, nicht herauszutreten aus den Formen, die ein Bindeglied sind für Weise und Unweise, denn diese uralten heiligen Formen sind die Bilder der höchsten Wahrheiten. Ohne Formen gibt es keine Kultur; es ist eine Täuschung, wenn man das Gegenteil glaubt. Nehmen wir zum Beispiel an, es gründe jemand eine Kolonie, ganz formlos, ohne Riten, ohne Gebräuche. Für den, der die Dinge durchschaut, ist es klar, daß eine solche Kolonie ohne eine Kirche, ohne Kultus und ohne religiöse Gebräuche eine Zeitlang ganz gut bestehen kann, weil die Leute noch nach den alten Anlagen leben, die sie mitgebracht haben. Aber sobald sie diese Anlagen verlieren, geht die Kolonie zugrunde, denn jede Kultur muß aus der Form herausgeboren werden. Das Innere muß äußerlich durch Formen ausgedrückt werden. Die moderne Kultur hat die Formen verloren; sie muß sie wieder gewinnen. Sie muß wieder lernen, auch äußerlich auszudrücken, was im Innern der Seele lebt. Die Form bedingt auf die Dauer das menschliche Zusammenleben. Das wußten die alten Weisen, und deswegen hielten sie fest an den religiösen Übungen.

3. Asanam bedeutet das Einnehmen einer gewissen Körperstellung bei der Meditation. Das ist für den Orientalen viel wichtiger als für den Europäer, weil der Körper des Europäers für gewisse feine Strömungen nicht mehr so sensitiv ist. Der orientalische Leib ist noch feiner, er empfindet leicht Strömungen, die von 0st nach West, von Nord nach Süd und aus der Höhe in die Tiefe gehen; denn im Weltall fluten geistige Ströme. Aus diesem Grunde werden die Kirchen zum Beispiel in einer bestimmten Richtung gebaut. Deshalb läßt der Joga-Lehrer den Jogi eine bestimmte Stellung einnehmen; der Schüler muß die Hände und Füße in einer bestimmten Stellung haben, damit die Ströme in gerader Richtung durch den Körper hindurchgehen können. Würde der Hindu seinen Körper nicht in diese Harmonie einfügen, so würde er die Früchte seiner Meditation völlig aufs Spiel setzen.

4. Pranayama ist das Atmen, das Joga-Atmen. Das ist ein sehr wesentlicher und ausführlicher Bestandteil der orientalischen Joga-Schulung. Es kommt fast gar nicht in Betracht bei der christlichen Schulung, hingegen wieder mehr bei der Rosenkreuzer-Schulung.

Was bedeutet das Atmen für die okkulte Entwickelung? Die Bedeutung des Atmens liegt schon in dem «Nicht töten», «Nicht das Leben beeinträchtigen». Der okkulte Lehrer sagt: Du tötest fortwährend langsam deine Umgebung durch das Atmen. - Wieso? Wir ziehen den Atem ein, halten ihn an, versorgen unser Blut mit Sauerstoff und stoßen den Atem dann wieder aus. Was geschieht dabei? Wir atmen die mit Sauerstoff erfüllte Luft ein, verbinden sie in uns mit Kohlenstoff und atmen Kohlensäure aus; darin aber kann kein Mensch oder Tier leben. Sauerstoff atmen wir ein, Kohlensäure, den Giftstoff, atmen wir aus; wir töten also mit jedem Atemzug fortwährend andere Wesen. Stückweise töten wir unsere ganze Umgebung. Wir atmen Lebensluft ein und atmen Luft aus, die wir selbst nicht mehr brauchen können. Der okkulte Lehrer ist darauf bedacht, das zu ändern. Wenn es nur auf die Menschen und auf die Tiere ankäme, so wäre bald aller Sauerstoff aufgebraucht und alles Lebendige ausgestorben. Daß wir die Erde nicht zugrunde richten, das verdanken wir den Pflanzen, denn diese machen genau den entgegengesetzten Prozeß durch. Sie assimilieren die Kohlensäure, trennen den Kohlenstoff vom Sauerstoff und bauen aus dem ersteren ihren Körper auf. Den Sauerstoff geben sie wieder frei, und diesen atmen Mensch und Tier ein. So erneuern die Pflanzen die Lebensluft; alles Leben würde ohne sie schon längst vernichtet sein. Ihnen verdanken wir unser Leben. So ergänzen sich also Pflanze, Tier und Mensch gegenseitig.

Dieser Prozeß wird aber in der Zukunft anders werden, und da derjenige, der in okkulter Entwickelung begriffen ist, mit dem beginnt, was die anderen einmal in der Zukunft durchmachen werden, so muß er sich entwöhnen, durch den Atem zu töten. Das ist Pranayama, die Wissenschaft des Atmens. Unser modernes materialistisches Zeitalter stellt die Gesundheit unter das Zeichen der frischen Luft; die moderne Heilmethode mit Luft ist eine Methode, die aufs Töten ausgeht. Der Jogi dagegen schließt sich in eine Höhle ein und atmet so viel als immer möglich seine eigene Luft, im Gegensatz zum Europäer, der immer das Fenster aufsperren muß. Der Jogi hat die Kunst gelernt, die Luft so wenig wie möglich zu verpesten, weil er gelernt hat, die Luft auszunutzen. Wie macht er das? Dieses Geheimnis war in den europäischen Geheimschulen immer bekannt, man nannte es das Erreichen des Steins der Weisen oder des Steins der Philosophen

Um die Wende des 18. zum 19.Jahrhundert sickerte manches über okkulte Entwickelung durch. Da wurde viel von dem Stein der Weisen in öffentlichen Schriften geschrieben, aber man merkt, daß die Verfasser selbst nicht viel davon verstanden, wenn auch alles aus richtiger Quelle stammte. In einer Thüringer Staatszeitung erschien im Jahre 1797 ein Artikel über den Stein der Weisen, in dem unter anderm folgendes gesagt wurde: Der Stein der Weisen ist etwas, das man nur kennen muß, denn gesehen hat es jeder Mensch. Es ist etwas, was alle Menschen eine gewisse Zeit hindurch fast jeden Tag in die Hand nehmen, was man überall finden kann, nur wissen die Menschen nicht, daß es der Stein der Weisen ist. - Das ist eine geheimnisvolle Andeutung: überall soll der Stein der Weisen zu finden sein. Aber diese sonderbare Ausdrucksweise ist wörtlich wahr.

Die Sache ist nämlich so: Wenn die Pflanze ihren Leib bildet, nimmt sie die Kohlensäure auf und behält den Kohlenstoff zurück, aus dem sie sich ihren Körper aufbaut. Mensch und Tier essen nun die Pflanze, nehmen dadurch den Kohlenstoff in sich wieder auf und geben ihn im Atem als Kohlensäure wieder ab. So besteht ein Kreislauf des Kohlenstoffes. In der Zukunft wird es anders sein. Da wird der Mensch lernen, sein Selbst immer mehr zu erweitern und das, was er jetzt der Pflanze überläßt, das wird er selbst einmal zustande bringen. Wie der Mensch durch das Mineral- und Pflanzenreich hindurchgeschritten ist, so schreitet er auch wiederum zurück. Er selbst wird Pflanze, nimmt das Pflanzendasein in sich auf und wird den ganzen Prozeß in sich selbst durchmachen: er wird den Kohlenstoff in sich behalten und bewußt damit seinen Körper aufbauen, wie es heute die Pflanze unbewußt tut. Den notwendigen Sauerstoff bereitet er dann sich selbst in seinen Organen, verbindet ihn mit dem Kohlenstoff zur Kohlensäure und lagert dann in sich selbst den Kohlenstoff wieder ab. Damit kann er also an seinem körperlichen Gerüst selbst fortbauen. Das ist eine große perspektivische Idee der Zukunft. Dann tötet er nichts anderes mehr.

Nun ist bekanntlich Kohlenstoff und Diamant derselbe Stoff. Diamant ist kristallisierter, durchsichtiger Kohlenstoff. Also brauchen Sie nicht zu denken, daß der Mensch später als Schwarzer herumlaufen wird, sondern sein Leib wird aus durchsichtigem. und zwar weichem Kohlenstoff bestehen. Dann hat er den Stein der Weisen gefunden. Er verwandelt seinen eigenen Leib in den Stein der Weisen.

Diesen Prozeß muß derjenige, der sich okkult entwickelt, so viel als möglich vorausnehmen, das heißt er muß seinem Atem die Fähigkeit des Tötens nehmen, er muß ihn so gestalten, daß die ausgeatmete Luft wieder brauchbar wird, so daß er sie immer wieder einatmen kann. Und wodurch geschieht das? Dadurch, daß man in den Atmungsprozeß Rhythmus hineinbringt. Dazu gibt der Lehrer Anweisung.

Einatmen, Atemanhalten und Ausatmen, darin muß, wenn auch nur für kurze Zeit, Rhythmus liegen. Mit jedem rhythmisch ausgeatmeten Atemzug wird die Luft verbessert, ganz langsam, aber sicher. Man kann fragen: Was macht das aus? - Hier gilt der Satz: Steter Tropfen höhlt den Stein. Jeder Atemzug ist solch ein Tropfen. Der Chemiker kann das noch nicht nachweisen, weil seine Mittel zu grob sind, um die feinen Stoffe wahrzunehmen, aber der Okkultist weiß, daß dadurch in der Tat der Atem lebensfördernd wird und mehr Sauerstoff enthält als unter gewöhnlichen Umständen. Nun wird aber der Atem gleichzeitig noch durch etwas anderes rein gemacht, nämlich durch Meditieren. Auch dadurch wird, wenn auch nur äußerst wenig, dazu beigetragen, daß die Pflanzennatur wieder hereingenommen wird in die menschliche Natur, so daß der Mensch zu dem Nicht-Töten kommt.

5. Pratyahara. Das nächste ist das Pratyahara; das bedeutet die Zügelung der Sinneswahrnehmung. Der Mensch, der im heutigen Sinne ein alltägliches Leben führt, empfängt bald da einen Eindruck, bald dort, und so immerfort; er läßt alles auf sich einwirken. Dem Schüler sagt nun der okkultistische Lehrer: Du mußt so und so viele Minuten lang einen Sinneseindruck festhalten und darfst nicht übergehen zu einem anderen als durch eigenen freien Willen.

6. Wenn er das eine Weile durchgeführt hat, muß er dazukommen können, gegen jeden äußeren Sinneseindruck taub und blind zu werden; er muß überhaupt von jedem Sinneseindruck absehen und in Gedanken nur das festzuhalten suchen, was man als Vorstellung davon zurückbehält. Wenn jemand so nur in Vorstellungen lebt, sein Denken kontrolliert und nur aus freiem Willen eine Vorstellung an die andere reiht, dann ist das der Zustand von Dharana.

7. Dhyanam. Nun gibt es Vorstellungen, von denen der Europäer nichts wissen will, die gar nicht von Sinneseindrücken herrühren, sondern die der Mensch bilden muß, zum Beispiel mathematische Vorstellungen: ein wirkliches Dreieck gibt es gar nicht in der Außenwelt, das kann man sich bloß denken; ebenso einen Kreis. Dann gibt es eine Reihe anderer Vorstellungen, die derjenige, der in okkulter Entwickelung ist, sehr üben muß. Das sind symbolische Vorstellungen, die bewußt mit irgendwelchen Dingen zusammenhängen, zum Beispiel das Hexagramm , ein Zeichen, das im Okkultismus erklärt wird; ebenso das Pentagramm . Der Schüler hält seinen Geist scharf auf solche Dinge gerichtet, die es in der Sinnenwelt nicht gibt. Ebenso ist es mit einer anderen Vorstellung, zum Beispiel die Gattung « Löwe », die man auch nur denken kann. Auch auf solche Vorstellungen muß der Schüler seine Aufmerksamkeit richten. Schließlich gibt es auch moralische Vorstellungen, wie zum Beispiel in « Licht auf den Weg »: « Bevor das Auge sehen kann, muß es der Tränen sich entwöhnen. » Das kann man auch nicht außen erleben, sondern nur in sich erfahren. Dieses Meditieren über Vorstellungen, die kein sinnliches Gegenstück haben, nennt man Dhyanam.

8. Samadhi. Und nun kommt das Schwerste: Samadhi. Man vertieft sich lange, lange in eine Vorstellung, die kein sinnliches Gegenbild hat, man läßt den Geist gewissermaßen darin ruhen und füllt die Seele ganz damit aus. Dann läßt man diese Vorstellung fallen und hat dann nichts mehr im Bewußtsein, aber man darf nicht einschlafen, was beim gewöhnlichen Menschen sofort der Fall sein würde; man muß bewußt bleiben. In diesem Zustande fangen die Geheimnisse der höheren Welten an, sich zu enthüllen. Man beschreibt diesen Zustand in folgender Weise: Es bleibt ein Denken, das keine Gedanken hat; man denkt, denn man ist bewußt, aber man hat keine Gedanken. Dadurch können die geistigen Mächte ihren Inhalt in dieses Denken einströmen lassen. Solange man es selbst ausfüllt, können sie nicht hinein. Je länger man im Bewußtsein die Tätigkeit des Denkens ohne den Inhalt des Denkens festhält, desto mehr offenbart sich die übersinnliche Welt.

Auf diesen acht Gebieten liegen die Anweisungen des Lehrers bei der orientalischen Joga-Schulung.

Nun werden wir noch, soweit es möglich ist, von der christlichen Schulung sprechen, und es wird sich zeigen, wie sie sich von der Schulung des Orients unterscheidet. Diese christliche Schulung kann erfolgen auf den Rat eines Lehrers hin, der weiß, was zu tun ist, und der immer bei jedem Schritt zurechtrücken kann, was verfehlt ist. Aber der große Guru ist der Christus Jesus selbst. Daher ist notwendig ein strenger Glaube an das wirkliche Vorhandensein und das wirkliche Gelebt-haben des Christus Jesus. Ohne diesen Glauben ist ein Sichverbunden-Fühlen mit ihm unmöglich. Weiter ist zu begreifen, daß von diesem großen Guru ein Dokument herrührt, das selbst die Anleitung zur Schulung gibt, und das ist das Johannes-Evangelium. Das kann man auch innerlich erleben, nicht bloß äußerlich daran glauben, und wer es in richtiger Weise in sich aufgenommen hat, für den gibt es keine Notwendigkeit mehr, den Christus Jesus zu beweisen, weil er ihn gefunden hat.

Diese Schulung geht so vor sich, daß man nicht bloß immer und immer wieder das Johannes-Evangelium liest, sondern darüber meditiert. Das Johannes-Evangelium beginnt mit den Worten: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. . . » Diese Verse sind, richtig verstanden, ein Meditationsstoff, und sie müssen in einem Dhyanam-ähnlichen Zustand aufgenommen werden. Wer morgens früh, bevor andere Eindrücke in seine Seele eingezogen sind, alles andere aus den Gedanken ausschließt und fünf Minuten lang einzig und allein in diesen Sätzen lebt, und zwar fortgesetzt, jahrelang in absoluter Geduld und Ausdauer, der erlebt, daß diese Worte nicht nur etwas sind, was man verstehen muß; er erlebt, daß sie eine okkulte Kraft haben, ja, er erlebt dadurch eine innere okkulte Umwandlung der Seele. Man wird in gewisser Weise hellsichtig durch diese Worte, so daß man astral alles sehen kann, was im Johannes-Evangelium steht.

Nach Anweisung des Lehrers läßt der Schüler nun sieben Tage lang, nach den fünf ersten Sätzen, das erste Kapitel durch die Seele ziehen. Die nächste Woche ebenso nach der Meditation der fünf ersten Sätze das zweite Kapitel, und so fort bis zum zwölften Kapitel. Man wird schon sehen, was man da Großartiges, Gewaltiges erlebt: wie man eingeführt wird in die Ereignisse von Palästina, wo Christus Jesus gelebt hat, wie sie in der Akasha-Chronik aufgezeichnet sind, und wo man dann tatsächlich alles, was zu jener Zeit geschehen ist, erlebt. Und dann, wenn man am dreizehnten Kapitel angekommen ist, erlebt man die einzelnen Stationen der christlichen Einweihung.

Die erste Station ist die sogenannte Fußwaschung. Zuerst muß man verstehen, was diese große Szene bedeutet. Der Christus Jesus neigt sich herunter zu denen, die niedriger sind als er. In der ganzen Welt muß diese Demut gegenüber denen, die unter uns stehen und auf deren Kosten wir uns höher entwickeln, vorhanden sein. Wenn die Pflanze denken könnte, müßte sie dem Stein danken dafür, daß er den Boden hergibt, auf dem sie ein höheres Leben führen kann, und das Tier müßte sich zur Pflanze neigen und sagen: Dir verdanke ich die Möglichkeit, daß ich bin. - Und ebenso der Mensch der ganzen übrigen Natur. Und derjenige, der höher steht in der menschlichen Gesellschaft, muß sich herunterneigen zu den niedriger Stehenden und sagen: Wenn nicht diese fleißigen Hände die niedrige Arbeit für mich verrichten würden, so könnte ich nicht stehen, wo ich stehe. - Und so auch weiter in der Stufenfolge der Menschheit, und so bis hinauf zum Christus Jesus selbst, der sich in Demut zu den Aposteln herunterneigt und sagt: Ihr seid mein Boden, an euch erfülle ich den Satz: Derjenige aber, der sein will der Erste, der muß der Letzte sein, und derjenige, der sein will der Herr, der muß der Diener aller sein. - Die Fußwaschung bedeutet das Gerne-dienen-Wollen, das Sich-Neigen in All-Demut. Das muß die allgemeine Empfindung werden für den okkult sich Entwickelnden.

Hat der Schüler sich mit dieser Demut ganz durchdrungen, dann hat er die erste Station der christlichen Einweihung erlebt. An einem äußeren und einem inneren Symptom erkennt er, daß er so weit ist. Das äußere Symptom dafür ist: er fühlt seine Füße wie von Wasser umspült. Das innere Symptom ist eine astrale Vision, die ganz gewiß auftritt: er sieht sich selbst einer Anzahl Menschen die Füße waschen. Dieses Bild taucht in seinen Träumen auf als astrale Vision, und jeder hat dieselbe Vision. Wenn er dieses erlebt, dann hat er dieses ganze Kapitel wirklich in sich aufgenommen.

Es folgt alsdann als zweites die Geißelung. Ist man bis dahin vorgeschritten, dann muß man, während man die Geißelung liest und auf sich wirken läßt, ein anderes Gefühl ausbilden. Man muß lernen, festzustehen bei den Geißelhieben des Lebens. Man sagt sich: Ich werde feststehen in allen Leiden und Schmerzen, in allem, was an mich herantritt. - Das äußere Symptom dafür ist: Man fühlt gleichsam einen punktweisen Schmerz am ganzen Körper. Das innere Symptom ist: Man sieht sich selbst gegeißelt in der Traumvision.

Die dritte Stufe ist die Dornenkrönung. Noch ein anderes Gefühl muß hinzutreten: Man lernt standhaft aushalten, wenn man auch mit Spott und Hohn überschüttet wird wegen des Heiligsten, das man besitzt. Das äußere Symptom dafür ist, daß man einen drückenden Kopfschmerz fühlt. Das innere Symptom ist: Man sieht sich astral mit der Dornenkrone gekrönt.

Dann kann man weitergehen zur vierten Station: der Kreuzigung. Ein neues, ganz bestimmtes Gefühl muß hier ausgebildet werden. Es beruht auf der Überwindung dessen, daß einem der eigene Körper das Wichtigste ist; er muß einem so gleichgültig werden wie ein Stück Holz. Wir tragen unsern Leib dann durchs Leben und betrachten ihn objektiv; er ist uns das Holz des Kreuzes geworden. Dabei braucht man ihn nicht zu verachten, so wenig wie irgendein Werkzeug. Die Reife zu dieser Stufe wird angezeigt durch das äußere Symptom: Zur Zeit der Meditation treten genau an den Stellen, die man die Stellen der heiligen Wundmale nennt, rote Punkte stigmaartig hervor, und zwar an den Händen und Füßen und an der rechten Seite in der Höhe des Herzens. Das innere Symptom ist: Der Schüler hat die Vision, selbst am Kreuze zu hängen.

Die fünfte Stufe ist der mystische Tod. Er besteht darin, daß der Mensch die Nichtigkeit des Irdischen erlebt, daß er tatsächlich für eine Weile allem Irdischen abstirbt.

Nunmehr können nur noch spärliche Schilderungen der christlichen Einweihung gegeben werden. Der Mensch erlebt als eine astrale Vision, daß überall Finsternis herrscht, daß die irdische Welt versunken ist. Vor dem, was da kommen soll, breitet sich ein schwarzer Schleier wie ein Vorhang aus. Während dieses Zustandes lernt er alles kennen, was in der Welt an Bösem und Schlechtem existiert. Das ist das Hinabsteigen in die Hölle, die Höllenfahrt. Dann erlebt er, daß der Vorhang wie entzweigerissen wird, und jetzt tritt die devachanische Welt hervor. Das ist das Zerreißen des Tempelvorhanges.

Dann folgt die sechste Stufe, die Grablegung. So wie bei der vierten Stufe der eigene Körper objektiv wird, so muß man hier das Gefühl ausbilden, daß einem nicht nur der eigene Körper ein Objekt ist, sondern daß man alles andere, was uns auf der Erde umgibt, geradeso als zu sich gehörig empfindet wie den eigenen Körper. Da dehnt sich der eigene Körper über die Haut hinaus. Man ist nicht mehr ein abgesondertes Wesen, man ist vereint mit dem ganzen Erdenplaneten. Die Erde ist unser Körper geworden, man ist in der Erde begraben.

Die siebente Stufe, die Auferstehung, kann nicht mit Worten geschildert werden. Man sagt daher im Okkultismus: Der siebente Zustand kann nur noch von demjenigen gedacht werden, dessen Seele ganz frei geworden ist vom Gehirn. Einem solchen könnte man ihn beschreiben. Deshalb kann er hier nur erwähnt werden. Wie er durchlebt wird, dazu gibt der christliche okkulte Lehrer die Anleitung.

Wenn der Mensch diese siebente Stufe durchlebt hat, dann ist das Christentum ein innerliches Erlebnis seiner Seele geworden. Er ist dann ganz vereinigt mit dem Christus Jesus; der Christus Jesus ist in ihm. (S. 119-130)

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